Adliges Gut statt grauer Steine
Wer ein wenig der dänischen Sprache mächtig ist, der wird gewiss den Namen der Stadt übersetzen können (wobei die Schreibweise mit "å" oder "aa" nicht von Belang ist). Allerdings wurde Graasten nicht deswegen so benannt, weil alle Bauten aus "grauen Steinen" bestanden; es ging dabei um das adlige Gut Grauenstein, aus dem der Ort einst entstand. Ob die Besitzer selbst diesen Namen trugen oder es lediglich ein klingender Name für das Anwesen sein sollte, ist hierbei nicht mit Sicherheit zu sagen. Auch wurde der Begriff in Folge der sprachlichen Lautveränderung von Grauenstein zu Gravenstein umgeformt, der dänische Name fußt aber auf dem ursprünglichen Begriff.
Zunächst entstand das adlige Gut Grauenstein im 16. Jahrhundert als Meierhof unter dem Gut Seegard. Durch seine herrliche Lage im Nybøl Nor (zu Deutsch Nübeler Noor), einem Seitenarm der Flensburger Förde in der Region Sundeved, wuchs das Gut rasch heran, zeichnete spätestens im Jahr 1648 selbstständig und wurde von dem Seegarder Gutsherrn von Ahlefeldt weiter ausgebaut, sodass das ansprechende Gutshaus bereits um 1700 die Erscheinung eines Schlosses innehatte. Durch die damalige Lage im Herzogtum Schleswig erlangte das prächtige Gut schnell Bekanntheit und viele Statthalter, sowohl aus Schleswig als auch aus Holstein, hielten sich auf dem Anwesen auf. Durch das Entstehen einer Handwerker- und Kaufmannssiedlung zwischen Schlossteich und dem Nybøl Nor wurde das Wirkungsgebiet weiter ausgebaut.
Trotz seines Wachstums blieb Graasten jedoch weiterhin eine Siedlung, die auch als solche eingestuft wurde. Es wurde kein Stadtrecht verliehen und auch für einen sogenannten Flecken, die Bezeichnung für einen Handelsplatz mit eingeschränkten Rechten im norddeutschen Raum, war die Größe zu gering; auf Grund dessen wäre Grauenstein somit unter die Bestimmungen für Landhandel und -handwerk gefallen, allerdings konnten die Bewohner der Siedlung ihren Handel und ihre Gewerbe unter dem Schutz der Gutsherrschaft frei ausüben. Da die Mehrzahl dieser für die Gutsherrschaft arbeitete, verlief der Protest aus den Städten im Sande. Und obwohl Graasten nach wie vor zum Kirchspiel Atzbüll gehörte, entwickelte sich die Schlosskapelle rasch zur Pfarrkirche in der Gemeinde.
Von Herzögen und Königen in Grauenstein
Im Jahr 1725 wurde Grauenstein ein selbstständiges Gut, nachdem der Güterkomplex des Gutsherrn von Ahlefeldt Konkurs anmelden musste. Das Gut samt Ländereien und Siedlung ging daraufhin an den Herzog von Augustenburg über, der durch seine Vorfahren ein Verwandter des dänischen Königshauses war. Dieser ließ dank Zukaufen weiterer Güter in der Nachbarschaft den Gravensteinschen Güterkomplex zu einem der größten im Lande anwachsen. Der Bruder des letzten Augustenburger Herzogs Christian August, mit Namen Friedrich Prinz von Noer, legte leider nicht so viel Geschick an den Tag: durch seinen Angriff auf die Festung Rendsburg am 24. März 1848 löste dieser den Ersten Krieg um Schleswig aus, an dessen Ende die Augustenburger das Land verlassen mussten und Gut Grauenstein verpachtet wurde.
Der Krieg von 1864 führte schließlich zur Abtrennung der Herzogtümer Schleswig und Holstein von der dänischen Krone und Friedrich von Augustenburg, Sohn von Christian August, nahm den Platz an der Verwaltungsspitze von Gut Grauenstein ein. Noch bis ins Jahr 1921 blieb Graasten in Augustenburger Hand, danach gab es keine direkten Nachkommen mehr. In dieser Zeit entwickelte sich Graasten zu einem wichtigen Handelszentrum, welches durch die Anbindung an das Eisenbahnnetz über die Apenrader Kreisbahn und die Hauptbahn von Sønderborg im 20. Jahrhundert noch mehr an Bedeutung gewann.
Nachdem im Jahr 1920 eine Volksabstimmung durchgeführt wurde, kam Nordschleswig zum Königreich Dänemark. Graasten wurde daraufhin eine Kirchspielkommune im Amt Aabenraa und das Gut blieb somit in staatlicher Verwaltung. Nach seiner Hochzeit erhielt der damalige Kronprinz Frederik 1936 das Gut und Graasten wurde offiziell zu einem königlichen Schloss ernannt. Besonders Ingrid, die Mutter von Königin Margrethe II., blieb dem idyllischen Ort bis zu ihrem Tode treu und noch heute verweilt die dänische Königsfamilie hier ungefähr 2 Monate im Sommer. Zu dieser Zeit kann auch immer die Königsyacht "Dannebrog" im Hafen von Sønderborg bestaunt werden.
Dänischer Nationalapfel und ein Pirat im Unterholz
Seit der Kommunalreform im Jahr 2007 gehört der heutige Ort Graasten zur Sønderborg Kommune in der Region Syddanmark. Wie bereits erwähnt, nutzt die dänische Königsfamilie Schloss Graasten als Sommerresidenz und während ihres Aufenthalts können Paraden und Wachablösungen beigewohnt werden. Begleitet von Flöten und Trommeln marschieren die Gardisten gegen 11.30 Uhr vom Ahlefeldvej durch den Ort zum Schloss und freitags wird anschließend ein kleines Konzert im Schlosshof veranstaltet. Ansonsten lädt die lebendige Hafenstadt zum Erkunden ein, es gibt ein vielfältiges Angebot an Geschäften und das Einkaufscenter "Ulsnæs Center".
Und warum nicht als kleinen Snack zwischendurch einen "Graasten Apfel" naschen? Dieser ist schließlich der dänische Nationalapfel und wird nach wie vor gezüchtet. Einst wurde die Sorte im 17. Jahrhundert von Graf Frederik Ahlefeldt dem Jüngeren nach Graasten gebracht, der einen Apfelbaum im Süden erstand. Leider stürzte der Mutterbaum in dem schweren Sturm von 1999 um, aber zum Glück gibt es bereits viele, teilweise schon sehr alte Ableger, die im Schlossgarten bewundert werden können.
Für die jüngeren Urlaubsgäste ist es da aber wahrscheinlich spannender, einmal auf echte Schatzsuche zu gehen. Das ist in den Wäldern von Graasten hervorragend möglich, denn einer Sage nach lebte hier im 13. Jahrhundert ein berüchtigter Pirat namens Alf, der die gesamte Flensburger Förde unsicher machte und nach seinem Verschwinden einen Schatz zurückließ. Dieser konnte jedoch nie gefunden werden und ob die Sage stimmt, ist historisch nicht belegt - ein kleiner Funken Wahrheit wird wohl aber auch in dieser Geschichte stecken, schließlich gibt es im Wald eine Alfs-Quelle und die Alfs-Höhle. Wer sich eher für die tolle Ostsee interessiert, der findet um Graasten herum gleich mehrere kinderfreundliche Badestrände vor. Der Fiskenæs Strand zum Beispiel bietet alles, was fürs Badevergnügen benötigt wird und im Alnor Strandpark gibt es neben seichtem Wasser auch einen Spielplatz.